Ich kann’s ja verstehen, daß Radsport-Funktionäre zur Zeit etwas dünnhäutig reagieren. Aber gerade von Radel-Rudi hätte ich angesichts seiner meist sehr entspannten Verbalkommunikation – die gewisse Assoziationen zu bewußtseinserweiternden Substanzen unweigerlich (und sicher zu Unrecht!) unvermeidbar macht – etwas mehr Gelassenheit erwartet.
handball-world.com befaßt sich mit den kürzlichen Verbalausfällen des Gralshüters der deutschen Radsport-Sauberkeit gegen den Handball:
„Gleich zwei Persönlichkeiten haben in den letzten Tagen im Rahmen der Doping-Vorkommnisse im Radsport in Hinblick auf das Thema Doping auch den Handballsport schwer belastet. ARD-Programmdirektor Dr. Günter Struve benannte gegenüber der Süddeutschen Zeitung den Handball als führend im Doping, und der frühere Kanzlerkandidat und spätere Verteidigungsminister Rudolf Scharping kommt in seinen Rechtfertigungen als Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) im Interview mit einem ZDF auf einmal auf den Handball. Die Redaktion von handball-world.com wollte diesem Thema ein Streiflicht widmen, es wurde ein Gegenlicht.
Der Radsport steckt in einer neuerlichen existentiellen Krise, die jüngsten Vorkommnisse im Bereich Doping haben die Sportart in ihren Grundfesten erschüttert. Erklärungs- und Rechtfertigungsversuche von Seiten der Verantwortlichen wie dem BDR-Präsidenten Rudolf Scharping erscheinen wenig glaubwürdig, nach alter Politikermanier (als Anschauungsbeispiel sei hier auf den Film „Wag the dog“ mit Dustin Hoffman und Robert de Niro hingewiesen) hat der frühere Verteidigungsminister nach altem Muster reagiert und im Interview mit dem ZDF einfach versucht, einen neuen Brandherd zu legen. Brandherd diesmal im übertragenen Sinne, denn er griff die Handball-Weltmeister an.
Die Aussage von ARD-Experte Stefan Kretzschmar, dass die Spieler vor dem Finale erst einmal eine Voltaren einwerfen, griff Scharping auf, lenkte vom Radsport ab und stellte den Handball an den Pranger. Dort würden Tabletten genommen, die zwar nicht auf der Dopingliste stehen, aber doch etwas bewirken, damit die Schmerzschwelle steigt und die Anforderungen des Spiels auszuhalten sind. Mit einer Debatte auf ethischem Niveau sollte von den schweren Vergehen im Radsport abgelenkt werden. Sicherlich stellt sich die Frage, wo Doping anfängt, doch dafür wurden Instanzen eingesetzt, die Richtlinien erstellen. Eine Voltaren steht nicht auf der Dopingliste und ist damit kein Doping, EPO, Blutvolumensteigerungen u. ä. aber schon.
Eine ethische Diskussion, ob eine Schmerztablette bereits Doping ist, oder die Nahrungsergänzung durch Vitamine und Spurenelemente, das Schlafen in Sauerstoffzelten und Höhenkammern, die vorsorgliche Magnesiumtablette gegen befürchtete Krämpfe oder das verstärkte Essen von Nudeln vor Ausdauersportarten, hilft dem Radsport aber sicherlich in der derzeitigen Situation nicht weiter und betrifft nicht nur den Handball sondern den gesamten Sport.
„Voltaren ist ein erheblich leichteres Medikament als das, was er nimmt, um seine Sprechgeschwindigkeit zu beschleunigen“, kommentierte Stefan Kretzschmar die Aussagen Scharpings in der Sportbild, gewohnt zurückhaltend.
Doch Scharping steht nicht alleine, mit Dr. Günter Struve ist dem früheren Kanzlerkandidaten bereits vor dessen Aussage im Sportstudio zur Seite gesprungen. Struve ist Programmdirektor der ARD, übrigens bereits sei 1992, also seit den Anfangstagen der Liveberichte über die Tour de France in der ARD, die das öffentlich-rechtliche Programm nach dem positiven Test Sinkewitzs auf Testestoron umgehend stoppen ließ. „Die französische Dopingbehörde, die unabhängig sein soll, hat Sportarten auf Doping untersucht. Das Ergebnis: Radfahren kommt an der sechsten Stelle, ganz vorne liegt Hallenhandball. Da werden schmerzunempfindlich machende Mittel vor jedem Spiel eingenommen, in der Regel stehen diese Beigaben nicht mal auf der Dopingliste“, so Struve im Doppelinterview mit ZDF-Programmchef Nikolaus Brender gegenüber der Süddeutschen Zeitung.
Mit der Aussage, dass Medikamente genommen werden, die nicht auf der Dopingliste stehen und dies den Sport zu einem besonderen Sündenpfuhl macht, steht Struve an der Seite Scharpings, wobei die Frage erlaubt sei, mit welchen Mitteln die Tourärzte wohl einen Vinokourov nach dessen Sturz und mit mehreren Stichen genähten Wunden an Knien und Ellenbogen, oder einen Andreas Klöden, der mit einem Haariß im Steißbein im Sattel sitzt, oder einen Michael Rogers, der noch mehrere Kilometer mit einer Schultereckgelenkssprengung fuhr, behandelt haben. Doch wie oben erwähnt, dies tut nichts zur Sache, denn es verstößt nicht gegen die Dopingbestimmungen.
Im Gegensatz zu Scharping hat Struve aber eine Statistik parat. Und wohl dem, der eine Statistik hat, denn Zahlen lügen nicht. Handball auf Position eins, Radsport auf sechs. Da ist der Fall doch klar. Was Struve verschweigt sind die genauen Zahlen: Obwohl, Handball 16 positive Proben, Radsport zwölf stimmt doch. Bereits ein Blick auf die Tests relativiert dies aber im Handball gab es insgesamt 374 Tests, davon waren 16 also 4,3 Prozent positiv. Im Radsport gab es 198 Tests, davon waren zwölf positiv, also 6,1 Prozent. Und schon ist der Radsport am Handball vorbeigezogen. Hinzu kommt, von den 16 positiven Probem im Handball waren, neben zwei Verweigerungen, zwölf positiv aufgrund des Gebrauchs von Cannabis, und ob ein Joint die Leistung eines Spitzensportlers steigert, sei einmal dahingestellt. Zumindest dürfte es wirksamere Mittel zur Leistungssteigerung geben, und diese finden sich bei einem Blick in die Verfehlungen des Radsports, dort finden sich unter den zwölf positiven Proben Mittel wie Cortison, EPO, Wachstumshormone und Anabolika. Für uns damit klarer Punktsieg für den Handball.
Gut, die zwei anderen Dopingvergehen im Handball werden durch die Verfehlungen im Radsport auch nicht besser. Doch ebensowenig hilft es dem Radsport mit dem Finger auf andere Sportarten zu zeigen, denn schon kleinen Kindern wird erklärt, dass, wer mit einem Finger auf einen anderen zeigt, mit vieren auf sich selbst zeigt. Also sollte für den Radsport gelten, dass er vor seiner eigenen Tür kehrt und gemeinsam mit anderen Sportarten das Doping bekämpft, anstatt zu hoffen, eine Sportart zu finden, in der noch mehr gedopt wird.
Also gut, halten auch wir uns daran, kehren wir vor der eigenen Tür. Kann Doping im Handball ausgeschlossen werden? Nein, keineswegs. Natürlich sind die Anforderungen im Handball komplexer und nicht so speziell, wie im Radsport, dem Skilanglauf oder der Leichtathletik. Der Nutzen scheint nicht in der Form gegeben, wie in anderen Sportarten, vorhanden ist er aber, vor allem, in Situationen, in denen ein Spieler, beispielsweise nach einer Verletzung, Muskulatur aufbauen will. Dies zeigen auch die von der IHF veröffentlichten Dopingfälle, die in den letzten Jahren zugenommen haben. Der Handball stellt in der Welt des Sports keine Ausnahme dar, beim Blutvolumensteigerer Dr. Fuentes in Madrid sollen auch Tennisspieler, Fußballer und zahlreiche andere Sportler ein und ausgegangen sein. Doping ist eine Form des Betrugs, des Sportbetrugs, und wo der Nutzen groß ist und die Chance aufzufliegen klein ist, gibt es überall in der Gesellschaft Betrug, für den Handball und den Sport allgemein bleibt nur zu hoffen, dass die Chance entlarvt zu werden über den möglichen Nutzen obsiegt. Nur so ist Doping einzudämmen, völlig auszuschließen ist es weder im Radsport noch im Handball.“
Sehr richtig. Dem ist nichts hinzuzufügen…
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